Hühnermist und Giraffenspucke

Das Leben ist zu schade, als dass man es mit unliebsamen Tätigkeiten verbringen sollte!

Doch wie findet man heraus, was eine unliebsame Tätigkeit ist?

„Nichts einfacher als das!“, wird der geneigte Leser denken. „Ich weiß doch, wann mir etwas Spaß macht und wann nicht!“ Ja, das stimmt. Und es stimmt auch wieder nicht. Wie so vieles im Leben, scheint auch das komplizierter zu sein.

Da gibt es diese Tätigkeiten, zu denen man sich überwinden muss. Man schiebt sie vor sich her, weil man ahnt oder zu wissen glaubt, dass sie unliebsam sind. Während des Hinausschiebens werden sie immer unliebsamer. Schon deshalb, weil sie unwiderruflich mit einem immer schlechteren Gewissen fest verbunden sind. Und das Merkwürdige ist, führt man diese Tätigkeiten dann irgendwann aus – meist ohne genau zu wissen, warum es gerade jetzt doch geht – dann wandeln sie sich plötzlich von einer unliebsamen Tätigkeit zu einer liebsamen.

Ein Beispiel: Das Hühnerstall-Ausmisten.

Ich bin ein verantwortungsvoller Mensch. Vor allem dann, wenn es um Lebewesen geht. Die Hühner, deren Haltung und artgerechte Versorgung ich mir selbst auferlegt habe, sollen alle zwei Tage ein neu bezogenes Bett bekommen. Das heißt, das Brett unter ihrer Sitzstange erhält eine neue, frische Lage Zeitungspapier – vornehmlich die Wochenzeitung im großen Format, denn die hat das ideale Maß für das sogenannte „Kotbrett“.

Jenes heißt nicht ohne Grund genau so. Der sich innerhalb von zwei Nächten des ruhenden Sitzens – Hühner brauchen zum Schlafen eine Stange – ansammelnde Kot hat eine nicht unerhebliche Ausdünstung. Je nach Gesundheitszustand und Futterangebot der Hühner kann das in Intensität und Note variieren. In jedem Fall sind diese Ausdünstungen nicht angenehm. Sozusagen unliebsam.

Eine neue Lage Zeitungspapier aufzulegen, setzt voraus, die alte, durchweichte und mit einer dicken Schicht Hühnerkot in mehr oder weniger weicher Konsistenz bedeckte Zeitung entfernen zu müssen. Mein Ehrgeiz besteht darin, diese etwa zwei Meter fünfzig auf 60 Zentimeter lange Strecke Hühnermist in eine kompakt gewickelte Rolle zu wickeln, an beiden Enden einzuschlagen und mit einem gezielten Schwung, ohne dass Bröckchen oder Knödel daneben fallen in den schon bereit gestellten Misteimer zu befördern. Dieses Ziel lässt sich recht leicht und unproblematisch erreichen, wenn ich mich an die zwei-Nächte-Regel halte und zuvor tatsächlich mindestens dreilagig und überlappend großzügig die bedruckten Seiten ausgebreitet habe.

Doch ist die Schicht um nur eine Nacht dicker, die Unterlage entsprechend durchweichter, schon wird die Tätigkeit schwieriger, die olfaktorischen Nebeneffekte belastender und eventuelle Missgeschicke folgenreicher.

Grund genug, die Tätigkeit als unliebsam zu empfinden.

Miste ich dann also nach möglicherweise drei oder gar vier Nächten erst den Hühnerstall aus, ist das schlechte Gewissen entsprechend groß und die Aufgabe schwieriger. Dann muss es aber unweigerlich sein und ein Aufschieben wäre verantwortungslos, denn die Hühner und ihr Wohlbefinden liegen mir am Herzen – ebenso wie deren freundlich zum Verzehr zur Verfügung gestellte Eier.

Und dann geschieht manchmal ein kleines Wunder. Die so lange hinausgeschobene unliebsame und immer schwierigere Tätigkeit wird zur Freude und Genugtuung aus unterschiedlichen Gründen:

  1. Der Kontrast von vorher/nachher ist beglückend groß!
  2. Durch die lange Verzögerung habe ich mir ein halbes oder gar ein ganzes Mal Ausmisten gespart und nicht zuletzt ist es 3. immer eine echte Befriedigung,  eine schwierige Aufgabe gemeistert zu haben.

Dies war ein einfaches und temporär leicht abzugrenzendes Beispiel einer unliebsamen Tätigkeit. Sie als Lebensverschwendung zu empfinden, wäre übertrieben. Erst recht, wenn man die nebenbei gewonnenen schmackhaften Eier gegenrechnet.

Anders ist das, wenn man von Jobs oder beruflichen Tätigkeiten spricht.

Da wäre z.B. die Arbeit als freie TV-Journalistin.

Viele Menschen, die mich fragen, was ich beruflich mache, nicken auf meine Antwort anerkennend mit dem Kopf, eventuell verbunden mit der bewundernden, manchmal etwas neidischen Bemerkung: „Das ist doch bestimmt total interessant!“ oder „Da lernt man doch bestimmt wahnsinnig interessante Menschen kennen!“ und ich antworte meistens mit einem etwas in die Länge gezogenen „Jaaa…“ Das beinahe zwangsläufig folgende „…aber…“ wird dann meist mit einem fragenden Unterton von meinem Gegenüber ergänzt. Was mir jedes Mal auf’s Neue wieder unangenehm ist. Denn ich will ja nicht jammern und ich will auch nicht undankbar sein.

Aber in meinem beinahe zwanghaften Hang zur Ehrlichkeit kann ich mein „Ja“ selten knapp und bündig und am besten noch mit einem gesprochenen Ausrufezeichen geben. Das würde mir wie eine Lüge erscheinen. Auf jeden Fall wäre es nur die halbe Wahrheit.

Denn natürlich lernt man in meinem Job häufig interessante Menschen kennen. Wäre ich Möbeldesignerin oder Versicherungsmaklerin, wäre es eher unwahrscheinlich, dass ich die Gelegenheit bekäme, zwischen drei 5 bis 6 Meter hohen Giraffen einen Experten über das Schlafverhalten dieser Tiere zu interviewen – und dabei mit Argusaugen den ca. 60 Zentimeter langen Sabberfaden zu beobachten, der der Giraffenkuh von der Lippe baumelt und droht, entweder mir oder meinem Interviewpartner auf Haaren oder Nase zu landen.

Auch die Möglichkeit, mit Gummistiefeln und in Ganzkörperplastik gehüllt bei der Autopsie eines Schweinswales dabei zu sein, wäre mir wahrscheinlich nicht ohne weiteres gegeben.

Nein, ich möchte die Abenteuer dieses Berufes überhaupt nicht schlecht reden. Ich könnte eine Menge bizarrer, beglückender, spannender Erlebnisse berichten, die mir einfach nur in der Ausübung meines Jobs zuteil wurden.

Aber die Begleiterscheinungen einer Tätigkeit beim Fernsehen sind auch nicht ohne.

Aber wenn ich daran denke, wie sehr ich manchmal kämpfen muss, um aufwendig recherchierte Themen oder ausgeklügelte Format-Konzepte  an den Mann oder die Frau zu bringen. Wie abfällig oder überheblich manch ein Redakteur mit den Themenideen der Freien Autoren umgeht – dann empfinde ich diesen Teil meiner Arbeit als sehr, sehr mühsam, oftmals ärgerlich, häufig unwürdig.

Also zurück zum Anfang: Es ist nicht immer leicht, zu entscheiden, ob eine Tätigkeit unliebsam ist. Der Job der Fernsehjournalistin ist auf jeden Fall toll und spannend und sehr privilegiert. Ihn zu erhalten, immer wieder zu sichern und tatsächlich auch bis zur gelungenen redaktionellen Abnahme auszuführen, ist manchmal sehr unliebsam. Von Fall zu Fall muss man dann entscheiden, welcher Teil der Tätigkeit überwiegt: Toll oder unliebsam?

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